_Krieg und andere Dinge
Ende der 80er-Jahre, bei einem unserer ersten Besuche in Bouzonvilles lothringischer Villa, wurde von unserem Gastgeber merkwürdig feierlich eine Schüssel mit salatartigem Inhalt auf den Tisch gestellt.
Begleitet natürlich von den von uns erhofften Weinen aus dem Elsaß und Luxemburg. Neugierig auf das Rezept zum wohlschmeckenden Salat erzählte uns EB, dass es sich um eine russische Spezialität handelt. Nicht nur in Russland populär sondern auch noch in ehemaligen Sovietrepubliken.
Die Feierlichkeit der Präsentation erklärte sich dadurch, dass Bouzonville das Rezept vor langen Jahren bei seiner russischen Geliebten kennenlernte. Eigentlich aber keine russische Kreation, sondern eine französiche. Er erzählte uns dann die Herkunft des Rezepts: Anfang des 19. Jhds. war Napoleon mit seiner großen Armee Richtung Moskau unterwegs. Er begegnete den vielen geografischen Problemen, an denen auch andere Eroberungsversuche gescheitert sind. Relativ nahe am Ziel, aber vom Nachschub abgeschnitten, gingen die Lebensmittel aus. Für einen Franzosen natürlich unerträglich auf die üblichen Mahlzeiten verzichten zu müssen, besonders für den Kaiser. Sicher in einer gewissen Paniksituation kreierte Napoleons Koch aus den noch vorhandenen Proviantresten einen Salat, der seitdem den Vornamen seines Erfinders trägt und deshalb Olivier genannt wird.
Das Gespräch wanderte während des Essens in andere Richtungen und landete bei einem kleinen, eher unbeachteten lothringischen Konzentrationslager, nicht wirklich passend zu einem Dinner, aber immer noch besser als konkrete Krankheitsgeschichten. Nie hatten wir von diesem Konzentrationslager gehört, anscheinend gibt es bei der Rezeption von Verbrechen auch eine gewisse Rangfolge, eine Art Hitparade des Schreckens. Wir beschlossen, am nächsten Tag einen Ausflug zu der nicht weit entfernten Gedenkstätte in dem kleinen Ort Thil zu unternehmen.
Im einzigen Cafe des Ortes, sicher vor nicht allzulanger Zeit noch ein blühender Standort der lothringischen Stahlindustrie, ein Ort, der zur Zeit unseres Besuches schon unter dem später, von Künstlern, Fotografen und Filmemachern geschätzten Begriff der Lost Places
eingeordnet werden konnte. Im Cafe saß vermutlich die gesamte männliche Dorfbevökerung. Schnell sprach sich herum, dass wir am Konzentrationsdenkmal und seiner Geschichte interessiert wären und mehrere Kenner der Materie versammelten sich an unserem Tisch, auch neugierig auf selten auftauchende Fremde, die noch dazu an ihrer lokalen Geschichte Interesse zu haben schienen. Die Geschichten zum Lager, die sie uns erzählten wurden immer abenteuerlicher, gingen über unsere Erwartungen einer KZ Geschichte hinaus und wiesen auf die letzten Strategien des in Schwierigkeiten geratenen 3. Reichs hin, Dinge, die wir über
Dora
in Thüringen gehört hatten, aber ähnliches an diesem Ort nicht vermutet hatten. Für die Nazis war der Ort interessant aufgrund seiner unterirdischen Erzmienen, die sie ausbauten um V1 und V2 Raketen zu produzieren und das Lager dafür die notwendigen Arbeiter liefern sollte. Nach dem Krieg wurden die Mienen geflutet, nur eine V1 ist noch in einem Nachbarort bis heute zu besichtigen.
Der lokale Historiker stellte uns das Material seiner Recherchen zur Verfügung, das wir im Folgenden zusammengefasst haben, mit der Einschränkung, dass die Herkunft mancher Fotos nicht abgesichert ist.
Das Konzentrationslager Longwy-Thil
(in Vorbereitung)