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Aus den Tagebüchern des Comte Étienne de Bouzonville
„Je mehr Kultur, desto weniger Freihheit...“
(Kater Murr)


_die gleitende Logik der Seele


Das Material, das uns Étienne de Bouzonville (im Folgenden EB genannt) zur Verfügung gestellt hat, haben wir nicht didaktisch aufbereitet und entschieden uns, es so disparat zu belassen, wie wir es vorfanden und es hier suksessive aneinander zu fügen.
Um trotzdem eine mögliche grundlegende Komposition anzudeuten, entschieden wir uns letztlich für den Begriff des Labyrinthischen, weil das Labyrinth zumindest die Illusion eines Zentrums transportiert. Deshalb bieten wir in guter Tradition zum Einstieg wenigstens einen roten Ariadne-Faden an, der in dieses Labyrinth hineinführt und vor allem das Herauskommen ermöglicht.
Musils Bezeichnung der „gleitenden Logik der Seele“ möchten wir zu diesem Zweck übernehmen, mit der Musil die poetische Seite der seelischen Aktivität dem analytischen Verstand an die Seite stellte.

_ein politisches Programm

„Und ich werde Staatsminister, und es wird ein Dekret erlassen, daß wer sich Schwielen in die Hände schafft unter Kuratel gestellt wird; daß, wer sich krank arbeitet, kriminalistisch strafbar ist; daß jeder, der sich rühmt, sein Brot im Schweiße seines Angesichts zu essen, für verrückt und der menschlichen Gesellschaft gefährlich erklärt wird; und dann legen wir uns in den Schatten und bitten Gott um Makkaroni, Melonen und Feigen, um musikalische Kehlen, klassische Leiber und eine commode Religion!“
(
Valerio in „Leonce und Lena“ von Georg Büchner, DTV 1975, 10. Auflage)



dolce far niente
(Gramodell von JC Mondot)



_der Kontext

Vor vielen Jahren (1988) bot uns in Paris ein Herr, der sich uns in der Rotonde als Comte Étienne de Bouzonville (EB) vorstellte, die Aufarbeitung seiner Notizen und Kunstsammlung an. Näheres zu dieser Begebenheit und zur Person werden wir an anderer Stelle ausführen.
Bouzonvilles Notizen kennzeichnen sich durch konsequente Kleinschreibung aus, möglicherweise ein Tribut an seine Generation und deren Kritik an Herrschaftsstrukturen in Grammatiken. So fanden wir in seinen Notizen den immer noch bekannten Satz, „Die herrschende Kultur ist die Kultur der Herrschenden“ oder der andere, „die sprache der revolution ist die revolution der sprache“. Vielleicht benutze er die Kleinschreibung eher in Erinnerung an Stefan George.
Die Notizen gehen aber über politische, kulturkritische Aspekte hinaus und versuchen die im ständigen Wandel begriffene Wirklichkeit über die Produkte der Kultur zu begreifen und die „gleitende Logik der Seele“ Musils zu bestätigen. Mit einem Fokus auf die Bildende Kunst.

Aktuell sind wir mit der Nachricht beschäftigt, dass der Graf EB in einer russischen Republik am Kaspischen Meer in einer Steppenregion gewaltsam zu Tode gekommen sein soll. In einer Region in der Forscher den Ursprung der indoeuropäischen Sprachfamilie lokalisieren. Die einzige Bildinformationen, die der Todesnachricht beigelegt waren, bestanden aus einem dieser bekannten Tatortfotos, die eine die Silhouette des Opfers umrandende Kreidezeichnung zeigen, inmitten einer Blutlache. Um näheres in Erfahrung zu bringen über diese noch nicht gesicherte Information, haben wir mit Hilfe einer privaten Beziehung einen ehemaligen KGB/FSB Agenten beauftragt, über den Mord(?) Unfall(?) zu recherchieren....
Ein Autor oder eine Autorin von Kriminalromanen könnte mühelos hier ansetzen, vielleicht sogar mit intellektuellem Anspruch auf Rimbauds Episode als Waffenhändler in Afrika Bezug nehmen und das Ganze zu einem Kulturkrimi inmitten exotischer Schauplätze ausbauen. Diesen Ansatz einer romanesken Handlung werden wir aber vermutlich nicht weiter fortführen.

Stattdessen, möchten wir jetzt in Bouzonvilles Notizen einsteigen:
„heute morgen, zu einer noch stillen zeit, spielte mir der zufall die kurzgeschichte „Die Mauer und die Bücher“ von Luis Borges in die hände und weckte das bedürfnis den schlusssatz festzuhalten, zu welchem zweck auch immer: „.... die Zustände des Glücks, die Mythologie, die von der Zeit gewirkten Gesichter, gewisse Dämmerungen und gewisse Orte wollen uns etwas sagen oder haben uns etwas gesagt, was wir nicht hätten verlieren dürfen, oder schicken sich an, uns etwas zu sagen, dieses Bevorstehen einer Offenbarung, zu der es nicht kommt, ist vielleicht der ästhetische Vorgang“.“
(Fischer Taschenbuch 2013, S. 209)
Bouzonville fügte hinzu: „der ästhetische vorgang ist ein vorgang der sowohl vom hersteller als vom betrachter ausgeht, mehr noch: kunst entsteht im betrachter, anders ausgedrückt, kunst entsteht dann, wenn wir etwas als schön empfinden.“
Ergänzend möchten wir erwähnen, dass es in der Geschichte von Borges um den ersten chinesichen Kaiser Schih Huang Ti geht, der sowohl die bekannte Mauer erbauen ließ, als auch die Verbrennung aller Bücher anordnete, um die Vergangenheit auszulöschen, „damit die Geschichte bei ihm beginne“. Parallelen zu unserer krisenreichen Zeit drängen sich auf.


_Übergangszeiten

„Krisenzeiten werden gewöhnlich als Übergangszeiten definiert. Eigentlich ist aber jede historische Epoche eine Übergangszeit; jede befindet sich im Zustand des Übergangs, keine hat feste Grenzen, in jeder ist etwas von der Erbschaft der Vergangenheit vorhanden und jede enthält Antizipationen der Zukunft, und dabei auch Versprechungen, die unerfüllt bleiben.“
(Arnold Hauser, Der Ursprung der modernen Kunst und Literatur.)

_über das Universum

Zunächst standen wir auch vor der Frage, mit welchem Bildmaterial wir dieses Bouzonville-Unternehmen beginnen könnten. Vielleicht ging es dem Schöpfergott genauso, auf jedenfall vielen Künstlern beim Anblick der weißen Leinwand. Beispielsweise nachzulesen in den Schriften von Max Ernst. Ernst musste sich erst eine strukturierte Fläche schaffen um beginnen zu können. Vielleicht analog zu den Schamanen, die sich auch eine Folie schaffen müssen, um in zeitlich andere Dimensionen zu schauen, z. B. Tarokkarten oder Kaffeesatz. So strukturieren wir erstmal die unendliche gegenstandslose digitale Fläche in der additiven Tradition der Volksliteratur und schauen wohin uns das Material treiben wird.



Wir entschieden uns mit einem Modell des alle Erscheinungen umfassenden Universums, sozusagen der Menge aller Mengen, zu beginnen. Zeitlich gingen wir etwas zurück und wählten ein Modell aus dem Visionenbuch der Hildegard von Bingen „sci vias“ (wisse die Wege) aus. Eine Mystikerin des 12. Jhds. , die in den 1980er Jahren zu einer Art Popstar avancierte. Neben ihren wunderbaren Überlieferungen, Bilder, Musik und Texte, darf man nicht vergessen, dass sie eine unerbittliche Dogmatikerin in Glaubensfragen und Verfechterin der Inquisition war. Eine der starken Frauen der Weltgeschichte, zwiespältig, wie ihre männlichen Kollegen.

Da es sich bei dieser Abbildung um eine als Bild festgehaltene Vision handelt, schien uns eine formale Analyse, wie bei einem Kunstwerk erlaubt zu sein.
Das Bild wirkt wie eine ornamentale Stickerei und zeigt den Himmel mit den Reigen und den Rängen der Engel, jeweils von einander unterschieden und typisiert, wie die anderen geteilten und charakterisierten Dinge auf dem Bild. In der Mitte das gänzlich Ungeteilte der Gottheit, die gleichzeitig ohne Eigenschaften und alle Eigenschafen ist.
Auffallend, die ungeheure Begrenzung, wie sich die Komposition auf ein Zentrum richtet, wie stark diese als unendlich gemeinte Welt begrenzt ist.

Das Bild mag uns als ersten Einstieg in die symbolistische Weltgestaltung oder -interpretation dienen, deren Grundprinzipien,
Zentrierung, Begrenztheit und Ordnung sind. Dieses Gestaltungsprinzip möchten wir neben den beiden primären Formbeziehungen als die sekundäre Formbeziehung bezeichnen. Diese Grundlagen einer optischen Syntax werden wir später eingehender behandeln.
_die Code-Sonne

Ein Diagramm der Übertragung des genetischen Codes über die mRNA in Informationen zur Herstellung von Aminosäuren, den Bausteinen der Proteinsynthese, der Basis unseres Stoffwechsels.
Dieser Code scheint universal zu sein und für alle Organismen zu gelten.



Die Frage, wie ein solcher universeller Code entstehen konnte, bleibt ungeklärt. Wie all diese Substanzen zusammengefunden haben um das, was wir Leben nennen in Gang
zu bringen, bleibt ein Mysterium. Wissenschaftlich muss die Anwort noch offenbleiben.
Zur Beantwortung können wir uns vielleicht, bis auf Widerruf mit unseren Modellen befriedigen und uns vielleicht mit dem 21. Kapitel aus dem Don Quijote trösten, als der Ritter von der traurigen Gestalt eine gewöhnliche Barbierschüssel mit dem geschichtsträchtigen Ritterhelm Mambrins identifizierte und sie sich, seiner Wunschvorstellung bewusst, mit den Worten aufsetzte: „...denn etwas ist besser als nichts“. Eine sehr weise Erkenntnis von Cervantes, nicht nur in Bezug auf Barbierschüsseln.

EB: auch bei der codesonne sehen wir zentrierung, begrenztheit und ordnung, die erwähnten eigenschaften symbolistischer kunst, oder richtiger, symbolistischer wahrnehmung der welt.
hildegards bild eine vision, die codeSonne ein wissenschaftlich abgesichertes diagramm. scheinbar berühren sich beide weltinterpretationen, die künstlerische und die wissenschaftliche im
versuch einer optischen darstellung. mit der einschränkung, dass bei hildegard das zentrum von einer undifferenziertheit, einer
leeren menge besetzt ist und bei dem biologischen modell von 4 basen. doch sollte man solche analogien nicht überbewerten, wissenschaftliche erkenntnis und künstlerische poesie bleiben getrennte welten.
Rotiert man den Kreis in der dritten Dimension, ensteht eine Kugel/Sphäre. Das Besondere an diesen Formen Kreis&Sphäre scheint die Beobachtung zu sein, dass jeder Punkt der Oberfläche gleich weit vom Zentrum entfernt ist.

Alain de Lille (Alanus ab insulis): Gott ist eine intelligible Sphäre, deren Mittelpunkt überall und deren Umkreis nirgendwo ist. Im „Roman de la Rose“, im „Pantagruel“ von Rabelais bis zu Pascal hält sich dieses Bild, das auf das Buch der Könige (8.27) zurückgeht und Salomon zugeschrieben wird: „Der Himmel und aller Himmel Himmel fassen dich nicht.“
Einstein wird eine Aussage nachgesagt, dass ein vierdimensionaler Punkt eine sich mit Lichtgeschwindigkeit ausdehnende Kugel ist, und dass sich der Ereignishorizont des Universums innerhalb einer Kugel befindet.

Optische Beispiele aus Bouzonvilles Notizen ohne nähere Angaben zur Herkunft.



Eine Miniatur (13. JH.?) mit einem kreisförmigen Kosmos, der Schöpfergott in seiner selten dargestellten Dreieinigkeit, als Maler mit Pinsel gekennzeichnet, schmeichelhaft für jeden Künstler.


Der Schöpfergott als Architekt mit Zirkel.
EB Notiz: der malende und der messende schöpfer, gegensätzliche künstlerische ansätze, unsere museen erzählen heute davon.
bei diesen beispielen aus dem europäischen mittelalter werden diese beiden prinzipien im gesamtbild vereint, wie es dem damals vorherrschenden symbolistischen denken entsprach. im hierarschichen system des symbolismus bekam/bekommt jedes element, auch jeder gegensatz seinen platz zugewiesen. wie in unseren modernen gesellschaften, möchte ich hinzufügen.

Das symbolistische Weltbild, wird uns in weiteren Notizen des Grafen begleiten.


Aktuelle Realitäts/Kosmosmodelle gehen vom Begriff der
Information aus. Alles, was wir Realität nennen, soll nur aus Information bestehen. Was Fantasyautoren dazu ermutigt, das Universum als einen alles lenkenden Supercomputer aufzufassen.

Ein etwas älteres Beispiel findet sich in einem weiteren von EB festgehaltenen Zitat von Luis Borges in der Kurzgeschichte, „Die Bibliothek von Babel“. Dort schreibt Borges zum Universum: „Das Universum (das andere die Bibliothek nennen)...“ Das Bild des Universums als Bibliothek wäre eine Vorwegnahme der Vorstellung des Universums als Information. Am Ende der Erzählung schlägt Borges ein Kosmosmodell auf der Basis einer Bibliothek vor: „Ich bin so kühn die folgende Lösung des alten Problems vorzuschlagen: Die Bibliothek ist unbegrenzt und zyklisch. Wenn ein ewiger Wanderer sie in einer beliebigen Richtung durchmäße, so würde er nach Jahrhunderten feststellen, daß dieselben Bände in derselben Unordnung wiederkehren (die, wiederholt, eine Ordnung wäre: Die Ordnung) Meine Einsamkeit erfreut sich dieser eleganten Hoffnung“.
( Aus der Erzählung „Die Bibliothek von Babel“, zitiert nach dem Fischertaschenbuch „Die unendliche Bibliothek“.)


_zur Evolution

Die ältesten Funde von menschlichen Skelettteilen werden zurzeit (2023) auf 300000 Jahre datiert und stammen aus Marokko. Wir können annehmen, dass diese Menschen so ausgesehen haben, wie wir heute. Ihr Denken und Verhalten dürfte ungeklärt bleiben.

Die ersten Gegenstände, die der Mensch herstellte waren zweckbezogene Faustkeile.

Erste Schmuckstücke werden auf 72000 Jahre datiert.
Erste Musikinstrumente treten vor 45000 Jahren auf.
Malerei gibt es seit 40000, Skulpturen seit 30000 Jahren.


_eine Definition des Lebendigen von Jaques Monod

Nach Jacques Monod gibt es drei Eigenschaften, die Leben definieren und dieses von allen anderen Erscheinungen im Universum unterscheiden:
Die Teleonomie, die autonome Morphogenese und die reproduktive Invarianz.
Teleonomie bedeutet, dass Lebewesen Objekte sind, „
die mit einem Plan ausgestattet “ sind, den sie gleichzeitig in ihrer Struktur darstellen und durch ihre Leistungen ausführen“. (Jacques Monod, Zufall und Notwendigkeit)

Es scheint uns, als hätte Bouzonville Affinitäten zur Biologie gehabt, im speziellen zur Molekularbiologie. Welcher Art diese Beziehungen waren, konnten wir noch nicht genau klären. In einer zur Zeit nicht mehr auffindbaren Notiz konnte man eine Aversion gegen Riesenchromosome herauslesen, was auch immer er damit zu tun hatte.



_Anmerkungen zu:

Pablo Picasso
(in Vorbereitung)
Max Beckmann
(in Vorbereitung)


EB Tagebuch: kunst, wie sie diese drei maler praktizierten, geriet im laufe der nachkriegszeit immer mehr in verruf unter den produzierenden kollegen, (nicht für den kunstmarkt). ein kommentar aus den 80er-jahren von H. Buchloh: „die Verherrlichung spontaner Malgesten konnte nur ein Wiederaufleben des Geniekults und damit faschistoider Elemente bedeuten.“
Duchamp hat diese neuen haltungen vorbereitet und gleichzeitig eigentlich zu ende gebracht. er hat das ready-made erfunden und circa 15 exemplare „hergestellt“. duchamps gedanke bei den ready-mades war es, objekte auszuwählen, die vollkommen gefühlsneutral, belanglos sein sollten, dem betrachter keinerlei projektionen erlauben sollten. deshalb könnte es auch nur eine begrenzte zahl davon geben, wie er sagte. leider ließe es sich nicht vermeiden, dass man als künstler doch irgendwann an den objekten hängen würde. so zog er sich zurück und widmete sich nur noch dem schachspiel.
eine ähnlich haltung hatte schon vor ihm der jugendliche rebell Rimbaud eingenommen. dieser widmete sich, nach seinem verzicht auf die rolle des poeten, der realität in einer direkteren weise zu, er ging nach afrika und betätigte sich unter anderem als waffenhändler. als man ihm mitteilte, dass inzwischen seine gedichte in paris gefeiert würden, schrieb er zurück: „Merde pour la poésie“.
unter den nach dem großen krieg groß gewordenen künstlern wurde diese antitraditionelle haltung weiter gepflegt, aber ohne auf die produktion von werken zu verzichten. neue wege wurden gesucht, denn malerei, wie die der drei oben beschriebenen künstler galt als reaktionär. im zentrum stand ein neuer materialbegriff, den Beuys als neuen kunstbegriff versuchte zu etablieren. die concept art konzentrierte sich auf die sprache als material. so schrieb Lawrence Weiner einer der hauptvertreter dieser kunstrichtung, auf den architrav des fredericianums in kassel anlässlich der dokumenta 7: VIELE FARBIGE DINGE NEBENEINANDER ANGEORDNET BILDEN EINE REIHE VIELER FARBIGER DINGE. eine reaktion auf die neoexpressionisten, auch die
jungen wilden genannt, die auf der gleichen dokumenta gezeigt wurden.



_Künstlerporträt

EB Tagebuch: 2017 besuchte ich eine offgalerie in der hamburger feldstrasse in einem ehemaligen nazibunker. mein damals schon alterndes auge fiel auf eine lobend vorgestellte taiwanische künstlerin, mit einer trotz ihren jungen jahren beeindruckenden biografie. die künstlerin, eine geheimnisvolle asiatin, in ihren luftigen weißen kleidern leicht, wie wehende lotosblätter im abendwind, weckte mein interesse. ihr ausgestelltes objekt bestand aus ihrem abschlussfilm an der HFBK, zu dem ich mich neugierig hinbewegte. ein ipad, offmäßig vom aussteller auf einem klappstuhl präsentiert mit kopfhörern, die mit einem viel zu kurzen kabel mit dem zuspielgerät verbunden waren. trotz der vielen störenden geräusche der besucherstimmen erschloss sich mir eine formal wie inhaltlich vertraute welt, die dokumentarische elemente mit erotischen- und todes-visionen zusammenbrachte.

Jasmine Fan

Choreografie / Tanzfilm













_über den Tod

EB Notiz: ich wundere mich öfter darüber, dass ich nie tote vögel herumliegen sehe, außer, wenn sie ein auto überfahren hat. gilt auch für eichhörnchen und die vielen anderen tierischen bewohner der stadt. manchmal findet sich eine plattgetretene maus auf dem gehweg, oder ein von fliegen übersäter rest eines kriechtiers im park. aber die vielen anderen?
diese tierchen sollen ja ein eher kurzbemessenes leben führen, wo verbleiben aber ihre überreste? ein biologe sagte mir, dass die meisten tiere ihr erstes lebensjahr nicht überstehen. es müsste sich also um tausende von kadavern handeln. werden sie sofort aufgefressen und von der natur recykliert? selten sehen wir etwas von diesen dramen im hintergrund unseres allttags.

Prof. Dr. Rainer Sörries
Trauerbrauchtum


In den ersten Jahren des neuen Jahrtausends arbeitete ein Assistent von Bouzonville an der Produktion einer CD-ROM zur Sammlung des Museums für Sepulkralkultur in Kassel. Den folgenden Beitrag des damaligen Direktors haben wir dieser CD entnommen.

Reinhold Messner
über den Tod

Seit Ende der 90er-Jahren war Bouzonville mit einem größeren Benefizprojekt zumThema Tod beschäftigt. In diesem Zusammenhang hatte einer seiner Mitarbeiter ein Statement von Reinhold Messner bewilligt bekommen, das in dessen Büro im Strassburger Europaparlament aufgenommen wurde, als Messner dort Abgeordneter war.




_Künstlerporträt

EB Tagebuch: sozusagen in beratender funktion begleitete ich einen kollegen, der die oben erwähnte offgalerie in der feldstrasse betrieb. unser ziel galt der jahresausstellung in der hamburger HFBK, die den studenten ein erstes ausstellungsforum bietet und manchen einen frühen weg in die vermarktung eröffnet. alles war noch so, wie damals zu meiner zeit an der stuttgarter kunstakademie. euphorische athmosphäre, sperrmüllsofas auf den fluren, auf denen vereinsamte, rötliche teller halbvoll mit spaghettis und ketchup spuren standen, genauso halbvolle trinkgefässe und fast leere bierflaschen als aschenbecherersatz mit zigarettenkippen gefüllt. auf einem dieser sofas saß ein bekannter meines kollegen, ein junger bärtiger, langhaariger georgischer student, der mich an mein aussehen in meiner studentenzeit erinnerte. etwas später ergaben sich mit meinem freund Martin Stobbe einige atelierbesuche und als wir eine galerie gründeten, stand danelia an oberster stelle der künstler, die wir umwarben und vertreten wollten.

Merabi Danelia










_das Paradies

Der Name
Eden stammt aus Mesopotamien. Im Akkadischen, bedeutet ednu eine Ebene und im Sumerischen eine fruchtbare, wassereiche Fläche.
Die ersten Erwähnungen eines paradiesischen Gartens finden sich auf Keilschriftttafeln aus dem antiken Sumer. Dort heißt der mythische Ort
Dilmun und besteht aus prächtigen Bäumen, die schönsten Früchte tragend in einer blumenbewachsenen und sonnenbeschienenen Umgebung. Dieser Ort war den Göttern vorbehalten und Menschen hatten keinen Zugang.
Die geschlossenen Gärten wurden im alten Persien
pairidaeza genannt, ethymologisch mit dem Sanscritwort paradêscha (die obere Gegend) verwandt, Gärten wo das Wasser im Überfluss vorhanden war. Meistens verteilte es sich über zwei rechteckige Kanäle, die die Achsen des geschlossenen Areals markierten. Sie begegneten sich im Zentrum in einem großen Becken, das von einem Brunnen mit 4 Ausgängen gespeist wurde. Ein Bild für den Ursprung der 4 primordialen Flüsse des irdischen Paradieses.

Ein Paradiesbild aus den „très riches heures du duc de Berry“ der Gebrüder Limburg











Das Bild ist in einem Viereck, im Viereck ist der Halbkreis als unten durchgehend des Tierkreises und der Planetenbahnen, in der Achse senkrecht oben über dem Himmel ist Gott Vater, der Architekt dieser Welt, der außerhalb der Welt ist, aber sie gebaut hat, er hat den Zirkel in der Hand. Die Welt ist geschichtet von unten nach oben, von den Fischen zu den Engeln. Die Erde ist eine Insel im Flüssigen, das Paradies ist ummauert, die Welt ist begrenzt, das ist sehr typisch, hier ist es noch mild. In der Regel sind bei Paradiesdarstellungen die Mauern wichtiger als die Pflanzen. Die 4 Paradiesesströme kommen heraus, nähren den Ozean und wir haben die kleine Enzyklopädie der Tiere.
Es entseht ein Viereck in diesem Kreis durch die Engel und das Gewand Gottes, wieder das Zentrum als Zentralritus, die Heiratssymbolik der trennenden Vereinigung. Um Adam und Eva zusammenzubringen, muss man sie vorher getrennt haben. Dieser Ritus der Vermählung ist gleichzeitig ein Ritus der Unterscheidung. Es ist das Eine, nämlich Gott in der Mitte, das die beiden Getrennten in sich beinhaltet, eine 3, eine 3 aus 2+1, wobei 1 wiederum 2 oder 3 ist.
Gegenstands- oder allgemeiner Formbeziehungen, die dem Maler durch die tägliche Arbeit vertraut sind.



_musterhafte Geschichten

Der Begriff der „musterhaften Geschichte“ geht auf Michel Tourniers Definition eines Mythos zurück:
„Un mythe c'est une histoire fondamentale“, „Ein Mythos ist eine musterhafte Geschichte“.
Das heißt, dass diese Geschichten, obwohl sie sehr weit in der Zeit zurückliegen, bis heute in unserer Kultur wirksam sind. In Theaterstücken, im Film, bis hin zu Comix und Computerspielen.
Wilde sehr verschlungene Geschichten, auch widerspruchsvoll, je nach Quelle.


Bouzonville schien Freude daran zu haben manche gedankliche Akrobatenstücke der Werbetexter festzuhalten. Hier ein Beispiel zum problematisch gewordenen Ich-Gefühl der Neuzeit.
Die betroffenen Produkte hat er leider nicht festgehalten.


Nimm dir Zeit für dich
Es beginnt mit DIR
Mehr für dich


_über Manierismus

Musil: „...man erblickt sich heute nicht in ganzer Figur und man bewegt sich nie in ganzer Figur.“
Vielleicht bezog sich Musil auf Dürer, der noch schreiben konnte „inwendig voller Figur“.

Die Anfänge dieses Lebensgefühls einer Entfremdung mit sich und mit der Welt, lassen sich in Europa in der Phase nach der Renaissance beobachten, der Kulturepoche, die die Kulturhistoriker als Manierismus bezeichnen und manche Soziologen als den Beginn der modernen Welt ansehen. Historisch wird sie datiert auf die Zeit von 1520-1650.

Das Selbstporträt von Francesco Mazzola, genannt „Il Parmegianino“ aus dem Jahr 1523 zeigt typische Merkmale des Manierismus, der sich ab jener Zeit über ganz Europa ausbreitete. Parmegianino malt nicht ein Selbstorträt, sondern sein Abbild gespiegelt und verzerrt in einem Konvexspiegel, eine mehrfach gebrochene Realität. Ein
Concetto, eine Sinnfigur, wie es die Literaten jener Zeit nannten. Seine übergroße Hand im Vordergrund und sein maskenhaft edles Gesicht im Hintergrund. Und doch ist alles ganz real, kein Traumbild, er malt das, was er vor sich hatte. Hier zeigen sich wichtige Elemente des Manierismus. Die manieristischen Künstler suchen in ihren Anfängen in der noch rational orientierten Gesellschaft der Renaissance mit rationalen Mitteln das Irrationale zu fassen, von der einfachen Pointe bis zur Vision. Bei Castiglione heißt es „die Umkehrung aller Logik“. Vergleichbar mit der paranoisch-kritischen Methode Dalis, dessen Wurzeln in dieser Epoche liegen.

Beim Anblick dieses mutmaßlichen Selbstporträts Parmegianinos müssen wir unweigerlich schon an Oscar Wilde und den Dandyismus des 19. Jahrhunderts denken. Nach mondänen Zeiten wurde Parmegianino mit Vasaris Worten ein „Wilder mit langem Bart und ungeordnetem Haar“ und am Ende seines kurzen Lebens verviel er in Trübsinn.

Der Kulturtheoretiker Peregrini hält in seinem Traktat von 1639 (Trattato delle accutezze) die wichtigsten Merkmale dieser neuen Kunstrichtung fest: Das Unglaubliche, das Zweideutige, das Gegensätzliche, die dunkle Metapher, die Anspielung, das Scharfsinnige, der Sophismus.

Der sich verändernde Weltbezug in jener Epoche geht einher mit dem Verlust eines seit der humanistischen Bewegung gewonnenen Ich-Bewußtseins.

Ficino: „Ich weiß in diesen Zeiten sozusagen gar nicht, was ich will, vielleicht auch will ich gar nicht, was ich weiß, und will, was ich nicht weiß.“

Oder:


Giuseppe Artale (1628-1679)

Qui fra quelli che sono, io non sono io.


Unter denen die sind, bin Ich nicht Ich.









Ein Statement, das seine Aktualität nicht verloren hat, wenn wir an die Behauptungen einiger Neurowissenschaftler denken, deren Untersuchungen der Gehirnmuster das Vorhandensein eines Ichs nicht nachweisen konnten und diese Wissenschaftler dem Ich-Gefühl eine biologische Basis absprechen und als eine Fiktion des Gehirns ansehen.

Etwas weniger dogmatisch und entspannter ironisiert
Milan Kundera in seinem Roman „Die Unsterblichkeit“* diese Rückführung des Ich-Bewusstseins auf das rationale Denken:
„Ich denke, also bin ich ist ein Satz eines Intellektuellen, der Zahnschmerzen unterschätzt.“
Kundera bemerkt, dass sich unser Denken kaum voneinander unterscheidet, wir denken alle in etwa dasselbe. Stattdessen verlegt er das Ich-Bewusstsein in den Bereich der Gefühle:
„Ich fühle, also bin ich, ist eine Wahrheit von größerer Gültigkeit und betrifft jedes lebende Wesen.“
Und er sieht die Grundlage des Ich im Schmerz und allgemeiner im Leiden:
„Wenn mir aber jemand auf den Fuß tritt, spüre nur ich den Schmerz…Im Leiden kann nicht einmal eine Katze an der Unverwechselbarkeit ihres Ich zweifeln.“
*
(L'Immortalité. 1990 Ed. Gallimard
Deutsch von Susanne Roth. Fischer 2014)


_musterhafte Geschichten: Dädalus

Für die Manieristen war Dädalus eine Identifikationsfigur, wie für uns heute Film- und Fernsehstars. In jener Zeit verkörperte er das tragische Schicksal des Künstlers und Architekten. Es dürften aber auch die perversen Aspekte der Geschichte eine wichtige Rolle für die damalige Gesellschaft gespielt haben:
Minos war der König von Kreta, damals das kulturelle Zentrum Europas und Kleinasiens. Dort herrschte der aus Ägypten stammende Stierkult und der Stier wurde als heiliges Tier verehrt. Minos war mit Pasiphae, eine Tochter des Sonnengotts Apollo verheiratet. Pasiphae bewunderte den heiligen Stier auf seiner Wiese und entwickelte den Wunsch von ihm begattet zu werden. Sie wandte sich an Dädalus, der ihr eine Kuhattrappe baute, in der sie sich verstecken konnte. So wurde der Stier überlistet und aus der Kopulation entstand der Minotaurus, halb Mensch, halb Stier. Minos gab Dädalus den Auftrag ein Labyrinth zu bauen in das das Ungeheuer Minotaurus eingesperrt und später von Theseus dem athenischen Helden getötet wurde.
Nachdem König Minos erfahren hatte, dass Dädalus seiner lüsternen Frau Pasiphae die mechanische Kuh gebaut hatte, um den heiligen Stier zu verführen, verbannte er ihn mit seinem Sohn
Ikarus in besagtes Labyrinth. Obwohl Dädalus der Architekt des Labyrinths war, war es ihm unmöglich den Weg hinaus zu finden. Als Ingenieur entwickelte er aus Wachs und Federn das erste Fluggerät und gilt seitdem als Erfinder des Fliegens. Doch die Geschichte entwickelt sich zu einer frühen Dystopie technischen Fortschritts. Ikarus, euphorisiert vom Fliegen, nähert sich zu sehr der Sonne, das Wachs schmilzt und er stürzt ab, in zahllosen Bildern dargestellt. Dädalus konnte entkommen. Nachdem er den Leichnam seines Sohnes bestattet hatte, verfluchte er seine Kunst und irrte ziellos umher.

Seine Spur findet sich am Hofe von Kokalos wieder, dem König von Sizilien, für den er den Aphrodite Tempel auf dem Berg Eryx erbaute. Der König Minos suchte ihn überall, hatte ihm vergeben und wollte ihn wieder als Freund zu sich nehmen. Um ihn zu finden suchte er nach jemandem, der in der Lage wäre einen Faden durch ein Schneckenhaus zu ziehen. Dädalus band einen Faden an eine Ameise und ließ sie durch ein Loch in das Schneckenhaus kriechen. So fand Minos seinen Freund wieder und bat Kokalos ihm Dädalus zu überlassen. Kokalos’ Töchter wollten ihn aber nicht weggehen lassen, er war der Schmied ihrer kostbaren Schmuckstücke. Als Minos baden wollte übergossen sie ihn nicht mit Wasser, sondern mit heißem Pech, das Ende von Minos. Danach finden sich keine Geschichten mehr zu Dädalus, er soll an einem Schlangenbiß gestorben sein.

Theseus

Diese Abbildung vom Anfang des 16. Jahrhunderts zeigt das von Dädalus erbaute Labyrinth im Moment der Ankunft von Theseus, bevor er den Minotaurus töten wird. Der Moment als er von Ariadne in ihrer Doppelgestalt der Aridela den Wollfaden überreicht bekommt, der ihm den Weg aus dem Labyrinth heraus ermöglichen wird. Interessant an diesem schon auf Felsgravierungen aus der Bronzezeit vorkommenden Symbol des Labyrinths, ist die Ambivalenz von strenger Ordnung und Unergründbarkeit. Man findet hinein, aber nicht mehr hinaus.
Im Hintergrund der Abbildung sind verschiedene Episoden von Theseus' Heimkehr simultan dargestellt.


Über den Stierkult

Der Stierkult, die Verehrung des Stiers als heiliges Tier geht auf die ägyptische Kultur zurück, über die der Kult nach Kreta tradiert wurde.
Bis heute lebt er im spanischen Stierkampf weiter, der Picasso zu seinen Stierkampf- und Minotauruszyklen inspiriert hat.



Verweilen wir noch mit einem Beispiel im Labyrinth manieristischen Denkens.

Die Abbildung zeigt den Grabstein des Fürsten von Silo in der Kirche San Salvador in Oviedo, die er erbauen ließ.
Von dem „S“ in der Miite ausgehend zu den 4 mit „t“ endenden Ecken läßt sich anscheinend der Satz „Silo princeps fecit“ auf 45760 Arten lesen. Die Kontrolle müssen wir unseren geneigten Lesern überlassen, mangels verbleibender Lebenszeit.




i
Ein zweiteiliges Objekt von JC Mondot aus Bouzonvilles Sammlung.
n zweiteiliges Objekt








_zum 18. Jahrhundert
In EB's Notizen finden sich viele Einträge zu den veschiedenen europäischen Kulturepochen. Hier haben wir ein Beispiel herausgegriffen zum 18 Jhd., als sich die Wissenschaften von Spekulationen frei machten und sich im Gefolge von Gallileo auf wiederholbare und überprüfbare Experimente zur Erforschung der Realität zu stützen begannen. Ein Meilenstein in dieser auf Rationalität und Vernunft basierte Entwicklung bildete die „Encyclopédie“ unter der Federführung von Diderot und d'Alembert, die in Frankreich das Zeitalter der Aufklärung einleitete. Den Eintrag, den wir hier vorstellen, befasst sich mit dem in der gleichen Epoche dem Rationalismus entgegengesetzte Weltauffassung auftretenden „Sensualismus“.

Extrait de l'Encyclopédie de Diderot et d'Alembert


SENSIBILITÉ. Disposition tendre et délicate de l'âme
qui la rend facile à être émue, à être touchée.
La sensibilité d'âme donne une sorte de sagacité sur
les choses honnêtes et va plus loin que la pénétration de l'esprit seul. Les âmes sensibles peuvent par vivacité tomber dans des fautes que les hommes à procédés ne commettraient pas; mais elles l'emportent de beaucoup par la quantité des biens qu'elles produisent. Les âmes sensibles ont plus d'existence que les autres : les biens et les maux se multiplient à leur égard. La réflexion peut faire l'homme de probité; mais la sensibilité fait l'homme vertueux. La sensibilité est la mère de l'humanité, de la générosité ; elle sert le mérite, secourt l'esprit et entraîne la persuasion à sa suite.

Auszug aus der Enzyklopädie von Diderot und d'Alembert

SENSIBILITÄT (EMPFINDSAMKEIT). Zarte und feine Veranlagung der Seele, die es ihr leicht macht, bewegt und berührt zu werden.
Die Sensibilität der Seele verleiht eine Art von Klugheit in Bezug auf anständige Dinge und geht weiter als die Durchdringung durch den Verstand allein. Empfindsame Seelen können aus Lebhaftigkeit in Fehler verfallen, die Aktionsmenschen nicht begehen. Sie übertreffen jedoch bei Weitem die Menge an
Gütern, die sie hervorbringen. Sensible Seelen haben mehr Existenz als andere: Bei ihnen vermehrt sich Gutes und Schlechtes. Nachdenken kann den Menschen rechtschaffen machen, aber die Empfindsamkeit macht den Menschen tugendhaft. Die Sensibilität ist die Mutter der Menschlichkeit und der Großzügigkeit. Sie dient der Anerkennung, hilft dem Geist und zieht die Überzeugungskraft nach sich.


_Newton, ein Bild von William Blake

Knapp ein halbes Jahrhundert nach dem Erscheinen der Enzylopädie und dem Siegeszug des Rationalismus malt William Blake dieses Bild, das schon die Krise der Messbarkeit der Welt thematisiert und am Beginn der romantischen Strömungen des 19. Jahrhunderts steht, die das Irrationale ins Zentrum stellen.


Ein Gott, der in einer Mitte sitzt und misst etwas unten, etwas unteres, was keine Mitte hat, Bei Blake ist Gottvater der Demiurg Yahvé, er hat einen anderen Namen bei Blake, ist eine Art Teufel geworden, es ist der böse Demiurg, der aus dem Neuplatonismus vererbt ist, es ist der böse Demiurg, der die Rationalität darstellt, das nur noch Messen. Blake, das ist das Problem der Moderne, die das Berechnen außerhalb des Berechneten gestellt hat, die die Methode trennt vom Zweck, die also gewissermaßen die Mathematik aus den Dingen herausgenommen hat und sie der Wissenschaft, hier dem Wissenschaftlergott zugeschrieben hat. Für das Mittelalter war die Mathematik in den Dingen, die Dinge waren die Mathematik. Es war nicht die Mathematik das Beispiel für die Dinge, sondern die Dinge waren die Beispiele für die Mathematik Gottes.
Also hier eine Umkehrung des weiter oben gezeigten Bildes des Demiurgen mit dem Zirkel. Als der Engel dieses Demiurgen gilt Isaac Newton, der die Welt berechnet und dadurch verdirbt. Der besessene Verstand, der fixiert ist auf seine Pläne.
(Frei zitiert nach einer Vorlesung von M. Schmid)


_das Leben der Steine in Japan
nach den „Zwillingssternen“ von Michel Tournier
Diderot der Hauptvertreter der Enzyklopädisten, der auch als Phänomänalist bezeichnet wird, kommt zu der Erkenntnis, „la pierre sent“ (der Stein empfindet) und bringt sich damit in die Nähe japanischer Weltvorstellungen, die Michel Tournier, sicher nicht in Unkenntnis Diderots in seinem Roman „Die Zwillingssterne“ (Les météores) in der Japanepisode beschreibt.

Er spricht daran die Frage an, wie lebendig die für uns tote Materie ist. Sein Experte vor Ort Shonin fragt, warum zur Bildhauerei Hammer, Schere und Säge gehören. Warum man den Stein leiden läßt und seine Seele zur Verzweiflung bringt. „Der Künstler ist ein Betrachter. Der Künstler gestaltet mit seinem Blick…“
Shonin erzählt dann die Geschichte eines Generals, der an einem weit entfernten Ort einen Vasallen besuchte und dort einen Stein namens Fujito sah. Der Vasall machte dem General den Stein zum Geschenk, der in Seide verpackt und auf einem aufwendig dekorierten Karren, von 12 weißen Ochsen gezogen unter Musikbegleitung, um dem Stein sein Leiden zu mildern, zum General nach Hause gebracht wurde. Im Sambô-in ist der Stein heute noch zu sehen.
„Der Bildhauer-Poet ist kein Steinebrecher. Er ist ein Sammler von Steinen.“
Dann weist er darauf hin, dass in den Gärten des 10. Jhdts. Steine von genialen Sammlern zu finden sind. Aber, dass seither „das Instrument des Sammelns auf immer verloren gegangen ist: das Auge des Sammlers.“
Die Steine dürfen nicht einfach abgelegt werden, sie müssen leicht eingegraben werden. Es gibt liegende und stehende Steine. Ein Stein besitzt einen Kopf, einen Schwanz, einen Rücken und sein Bauch braucht „die warme Dunkelheit der Erde. Ein Stein ist weder tot noch stumm… und er beklagt sich, wenn er unglücklich ist, mit einer Klage, die das Herz des Dichters zerreißt.“


_die Natur

Jean Baudrillard:
„C'est quand une chose commence à disparaître que le concept apparaît.
Ainsi le réel s'évanouit dans le concept.“
Zur Entstehung eines Begriffs schreibt Jean Baudrillard:
„Erst wenn ein Ding zu verschwinden beginnt, erscheint das Konzept.
So verschwindet das Reale im Konzept."

Ein Beispiel: „Natur“
Als natürlich bezeichnen wir alle Dinge, die nicht vom Menschen gemacht sind.
Die Substantivierung „Natur“ läßt sich auf die Schriften von Jean-Jacques Rousseau zurückführen.

„Der Wanderer über dem Wolkenmeer“ von C. D. Friedrich, aus der Hamburger Kunsthalle, kann Baudrillards Überlegung illustrieren. Der Mensch steht nicht mehr in der Natur, ist nicht mehr Teil von ihr, sondern er steht ihr als Beobachter gegenüber, „wie einer Filmleinwand“ (M. Schmid).
Als Beobachter bleibt er draußen.



_Künstlerporträts






Die meisten Schriften über Kunst sind von Leuten verfaßt, die keine Künstler sind: daher die falschen Begriffe und Urteile.

(
Eugène Delacroix)

_Brauchtum

Um das Jahr 2007 herum notierten die damaligen Assistenten von Bouzonville, dass dessen Untersuchungen zu Todestraditionen eine Reise nach Bremen notwendig machten, in das Überseemuseum. Neben der Sammlung ging es EB speziell um eine Sonderausstellung zum mexikanischen Totenkult. Sehr beeindruckt zeigten sich die Assistenten von dem Leiter der digitalen Abteilung, der ihren Vorstellungen eines weitgereisten Seebären entsprach und eine dicke Havanna auf Lunge rauchte.

Der mexikanische Totenkult
(in Vornereitung)


Im Rahmen dieser Recherchen zu Totenbrauchtümern kam es auch zu einem Kontakt mit dem Museum für Völkerkunde in Frankfurt, das sich etwas später in „Museum der Kulturen“ umbenannt hat. Auch hier weckte neben der Sammlung Bouzonvilles Interesse die Sonderausstellung „Tod im Kulturvergleich“, aus der wir hier einige Beispiele vorstellen.



_Todesfälle und Koitusverbot.

Bei den Sirionó, bei denen die Gefühlsbindungen zwischen Ehemann und Ehefrau ganz besonders schwach zu sein scheinen, enthält sich der überlebende Gatte gewöhnlich zwei oder drei Tage des Verkehrs. Im Gegensatz dazu verlangen die Kongo, daß die Witwe ihren Mann - je nach seiner Stellung in der Gruppe - ein bis zwei Jahre lang betrauert. Bei derselben Gruppe darf sich der Witwer wieder verheiraten, sobald seine frühere Frau begraben ist und bestimmte Riten ausgeführt worden sind, das heißt nach ein paar Monaten. Bei den Aschanti ist die Witwe nach dem Tode ihres Mannes ein Jahr lang enthaltsam; anderenfalls käme er nämlich zurück, würde mit ihr schlafen und dadurch bewirken, daß sie unfruchtbar wird oder stirbt. Wenn einem Aschanti-Mann eine Frau stirbt, darf er mit seinen anderen Frauen einige Wochen lang keinen Verkehr haben, bis die abschließenden Trauerzeremonien für die verstorbene Frau abgehalten worden sind. Würde diese Regel verletzt, so müßte jeder Säugling sterben, den der Witwer zufällig ansieht.
Bei manchen Gruppen erstrecken sich die Beschränkungen des Koitus nach einem Todesfall auch noch auf andere Personen als den überlebenden Ehepartner. Es handelt sich dabei gewöhnlich um die Verwandten des Verstorbenen oder andere, mit ihm eng verbundene Personen. Bei den Jivaro in Südamerika zum Beispiel ist nach einem Todesfall den nächsten Angehörigen mehrere Tage lang der Sexualverkehr verboten. Bei den Bena in Afrika darf kein Verwandter eines Verstorbenen Verkehr haben, ehe die Begräbnisriten vorüber sind und der Geist in sicherer Entfernung im Land der Schatten weilt. Auf den West-Karolinen sind die Männer, die als Leichenträger fungiert haben, vier Tage lang für die Frauen tabu. Die Lesu verlangen, daß alle Mitglieder der Dorfgemeinde in der Zeit vom Todesfall bis zur Beerdigung sexuelle Enthaltsamkeit üben.

(Ford/Beach, Formen der Sexualität)


_sur la mode / Über die Mode / About fashion
von Charles Baudelaire aus "Curiosités esthétiques"



La mode doit donc être considérée comme un symptôme du goût de l'idéal surnageant dans le cerveau humain au-dessus de tout ce que la vie naturelle y accumule de grossier, de terrestre et d'immonde, comme une déformation sublime de la nature, ou plutôt comme un essai permanent et successif de réformation de la nature. Aussi a-t-on sensément fait observer (sans en découvrir la raison) que toutes les modes sont charmantes, c'est-à-dire relativement charmantes, chacune étant un effort nouveau, plus ou moins heureux, vers le beau, une approximation quelconque d'un idéal dont le désir titille sans cesse l’esprit humain non satisfait.

Die Mode muss daher als ein Symptom des Geschmacks für das Ideale betrachtet werden, das im menschlichen Gehirn über all dem schwebt, was das natürliche Leben dort ansammelt.
Es ist eine erhabene Verzerrung der Natur, oder vielmehr ein ständiger und aufeinanderfolgender Versuch, die Natur zu reformieren. Daher hat man vernünftigerweise bemerkt (ohne den Grund dafür zu entdecken), dass alle Moden reizvoll, d.h. relativ reizvoll sind, jede eine neue, mehr oder weniger glückliche Anstrengung, das Schöne zu erreichen, eine Annäherung an ein Ideal, dessen Verlangen den unbefriedigten menschlichen Geist unaufhörlich kitzelt.



Werbetext / Advertising text


Zeit fürs Wesentliche



_Künstlerporträts
Caterina Rancho

Photographie


_Reinhold Zobel / 4 Bücher

(zu beziehen über apple books oder Huggendubel)


Die Entleerung des Möglichen
(Prosa-Revue)


Notaph
(Thriller)


Eine Gruppe Passanten findet sich auf der Flucht vor Terroristen in einem Haus zusammen, wird dann von den “Kriminellen” gekidnappt und in den Keller gesperrt. Um sich abzulenken und nicht in den Panikmodus zu verfallen, beschließen die Gefangenen, sich die vor ihnen liegende Nacht mit dem Erzählen von Geschichten zu vertreiben. Zeitrahmen: 1950-2019.

Der Text ist eine Art Almanach (in lockerer Anlehnung an Wilhelm Hauff) oder, anders gewendet, eine Art Nummernrevue (in lockerer Anlehnung an die Ziegfeld Follies). Er fächert sich auf in 4 Abteilungen, welche durch eine knappe Rahmenhandlung zusammengehalten werden. Die Abteilungen sind motivisch untereinander verknüpft, vom Inhalt wie vom Konzept her hingegen eigenständig.

Gesamttext-Umfang: circa 336.000 Worte
Nick Mangold arbeitet als Projektleiter in einem Hamburger Wasserwerk, lebt mit Frau und Kind ein unauffällig bürgerliches Leben. Das ändert sich, als er für ein Jahr beruflich nach Antwerpen versetzt wird. Von da an führt er eine Doppelexistenz mit unvorhergesehenen Folgen. Schauplätze der Handlung sind die Städte Antwerpen, London und Hamburg.
Ein Thriller, in dem das Unerwartete die Hauptrolle spielt.


Gesamttext-Umfang: 87811 Worte

Oberlicht
(Roman)




Spätvorstellung
(Dialog-Roman)

(nach Motiven des Films “My Dinner with André”)

Die Handlung dieses Prosatextes spielt zu Beginn der Achtziger Jahre des 20.Jhdts. Schauplätze sind die Stadt Paris, teilweise Berlin, teilweise andere Örtlichkeiten. Erzählt wird die Geschichte eines Mannes Anfang Dreißig, und erzählt wird sie von ihm selbst; ein nicht immer passgenaues Mosaik aus Zeitsprüngen und Rückblenden, aus Erlebnissen, Begegnungen und inneren Betrachtungen. Unser Held ist unterwegs, auf der Schnitzeljagd nach dem Abenteuer seines Lebens.

Gesamttext-Umfang: 56768 Worte
Zwei alte Freunde, die einander über viele Jahre nicht gesehen haben, begegnen sich zufällig auf der Straße wieder. Sie beschließen spontan, die Gelegenheit zu ergreifen, in ein Café zu gehen, um miteinander zu reden. Es wird ein ausuferndes Gespräch. Zeitlicher Rahmen: 2019.




Gesamttext-Umfang: 43986 Worte

_Musterhafte Geschichten: Ödipus

Ödipus verkörpert allgemein die Idee der Weltenretter, auch „Helden“ genannt. In allen Epochen tauchen sie auf, in Produkten der Kunst oder verkörpert in Film- und Fernsehhelden. Herrscher sahen sich meistens in dieser Rolle, die vielen Reiterdenkmale und Historienschinken oder Porträts zeugen davon. Und Kopien in der aktuellen politischen Landschaft lassen sich unschwer finden.

Zur Ödipusgeschichte:
Wir möchten hier das Schicksal von Ödipus bis zu seiner Begegnung mit der Sphinx zusammenfassen auf der Basis von Euripides' „Sieben gegen Theben“ und Sophokles' „König Ödipus“, ein Stück, das von Pasolini verfilmt wurde.

Laios, der Vater von Ödipus, uns allen durch Freuds Ödipuskomplex bekannt, gilt laut Euripides als der Erfinder der Knabenliebe, die gängige sexuelle Orientierung der alten Griechen, später von den Römern übernommen. Eine Neigung, die sich bis heute unter manchen Lateinlehrern erhalten hat.

Laios entführte den jugen Chrysippos, der in Laios' Haus zu Tode kommt. Manchmal wird erzählt, durch Selbstmord, wegen der Schande, in anderen Varianten wurde er ermordet. Seitdem lastet der Fluch des Vaters von Chrysippos auf dem Geschlecht des Laios. Er dürfte kein Kind zeugen, es würde ihn ermorden und seine Mutter heiraten. Im Rausch zeugen trotzdem Iokaste und Laios ein Kind, das sie daraufhin aussetzten. Laios war vom Orakel in Delphi gewarnt worden und weil er sich dem widersetzte, zog er den Zorn des Apollo auf sich, der als Beschützer der Knaben und Jünglinge galt. Auch den Zorn Heras zog Laios auf sich, denn dafür genügte, mit den Worten Keréniyis, „wenn der Geraubte und mit Gewalt zurückgehaltene Knabe dem König die Ehefrau ersetzen sollte“.
Auch Ödipus befragte das Apollo Orakel in Delphi und erfuhr, was ihm vorherbestimmt war. Um das zu vermeiden floh er von seinen Pflegeeltern und das Schicksal nahm seinen bekannten Verlauf. Er erschlägt seinen Vater auf seiner Flucht und begegnet der Sphinx, ein aus Äthiopien von Hera geschicktes Mischwesen, das den jungen Thebanern Rätsel stellte und sie bei der falschen Antwort tötete.
Die Frage der Sphinx lautete:
„Ein Zweifüßiges gibt es auf Erden und ein Vierfüßiges mit dem gleichen Wort gerufen, und auch dreifüßig. Die Gestalt ändert es allein von allen Lebewesen, die sich auf Erden, in der Luft und im Meere bewegen. Schreitet es, sich auf die meisten Füße stützend, so ist die Schnelle seiner Glieder am geringsten.“

La machine infernale

Pièce en 4 actes de Jean Cocteau

Dans l'acte 2 de sa pièce de théâtre "La machine infernale", qui paraphrase l'histoire d'Œdipe, Cocteau construit une relation érotique unilatérale entre le Sphinx et Œdipe, peut-être inspirée par la représentation de Moreau de cette rencontre dangereuse.
Il ajoute au Sphinx, dans l'épisode connu, le dieu égyptien des morts Anubis. Le Sphinx apparaît à Œdipe sous sa forme de jeune femme et se prend d'affection pour le jeune homme bien bâti.

....

Le Sphinx
Qu'as-tu?

Anubis
Mauvaise nouvelle.

Le Sphinx
Un voyageur?

Anubis
Un voyageur....

Le Sphinx
C'est impossible, impossible. Je refuse d'interroger ce jeune homme. Inutile, ne me le demande pas.

Anubis
Je conviens que si vous ressemblez à une jeune mortelle, il ressemble fort à un jeune dieu.

Le sphinx
Quelle démarche, Anubis, et ces épaules! Il approche.

....

Œdipe
Oh! Pardon...

Le Sphinx
Je vous ai fait peur.

Œdipe
C'est-à-dire... non... mais je rêvais, j'étais à cent lieues de l'endroit où nous sommes, et... là, tout à coup...

Le Sphinx
Vous m'avez prise pour un animal.

Œdipe
Presque.

Le Sphinx
Presque? Presque un animal, c'est le Sphinx.

Œdipe
Je l'avoue

Le Sphinx
Vous avouez m'avoir prise pour le Sphinx. Merci.

[ Par la suite, elle révèle à Œdipe la réponse à l'énigme. Mais il reste indifférent à ses charmes et se réjouit d'entrer à Thèbes en tant que libérateur du monstre. Déçue et furieuse de ce rejet, la Sphinx se calme lorsqu'elle apprend d'Anubis la vie dramatique imminente d'Œdipe et son apparition à l'acte II se termine par ces mots, après s'être retransformée en sa forme divine de Némésis, la déesse de la vengeance : ]

Les pauvres, pauvres, pauvres hommes... Je n'en peux plus Anubis... J'étouffe. Quittons la terre.

....







Gustave Moreau








Ein autistischer kalmykischer Junge mit seiner Sphinxkatze


La machine infernale

von Jean Cocteau

Im 2. Akt seines Theatestücks „La machine infernale“, das die Ödipusgeschichte paraphrasiert, konstruiert Cocteau eine einseitige erotische Beziehung der Sphinx zu Ödipus, vielleicht von Moreaus nebenstehender Darstellung dieser gefährlichen Begegnung beeinflusst.
Cocteau stellt der Sphinx den Ägyptischen Totengott Anubis zur Seite. Die Sphinx erscheint Ödipus zunächst in der Form einer jungen Frau und verliebt sich in den jungen gut gebauten jungen Mann.

.....

Die Sphinx
Was hast du?

Anubis
Eine schlechte Nachricht.

Die Sphinx
Ein Reisender?

Anubis
Ein Reisender....

Die Sphinx
Das ist unmöglich, unmöglich. Ich verweigere mich diesen jungen Mann zu befragen. Unnötig, bitte mich nicht darum.

Anubis
Ich stimme zu, dass, wenn sie diesem jungen sterblichen Mann ähnlich sind, er einem jungen Gott ähnelt.

Die Sphinx
Wie er sich bewegt, Anubis, und seine Schultern! Er nähert sich.

...

Ödipus
Oh! Entschuldigung...

Die Sphinx
Habe ich Ihnen Angt gemacht.

Ödipus
Das heißt...nein... aber ich träumte, ich war hundert Meilen von dem Ort entfernt, wo wir uns befinden, und... dort, ganz plötzlich...

Die Sphinx
Sie haben mich für ein Tier gehalten.

Ödipus
Fast.

Die Sphinx
Fast? Fast ein Tier, das ist die Sphinx.

Ödipus
Ich gebe es zu.

Die Sphinx
Sie geben zu, dass sie mich für die Sphinx gehalten haben. Danke.

[Anschließend gibt die Sphinx Ödipus die Antwort auf das Rätsel. Ödipus aber bleibt unbeeindruckt von ihren Reizen und freut sich darauf in Theben als Befreier vom Ungeheuer einzuziehen.
Enttäuscht und wütend über Ödipus' Ablehnung, beruhigt sie sich wieder, als sie von Anubis das Ödipus bevorstehende dramatische Leben erfährt. Ihre Erscheinung im 2. Akt endet mit den folgenden Worten, nachdem sie sich wieder in ihre göttliche Gestalt der Nemesis zurückverwandelt hat, der Göttin der Rache.]

Die armen, armen, armen Menschen... Ich kann nicht mehr Anubis... Ich ersticke. Verlassen wir die Erde.


_Krieg und andere Dinge

Ende der 80er-Jahre, bei einem unserer ersten Besuche in Bouzonvilles lothringischer Villa, wurde von unserem Gastgeber merkwürdig feierlich eine Schüssel mit salatartigem Inhalt auf den Tisch gestellt.
Begleitet natürlich von den von uns erhofften Weinen aus dem Elsaß und Luxemburg. Neugierig auf das Rezept zum wohlschmeckenden Salat erzählte uns EB, dass es sich um eine russische Spezialität handelt. Nicht nur in Russland populär sondern auch noch in ehemaligen Sovietrepubliken.
Die Feierlichkeit der Präsentation erklärte sich dadurch, dass Bouzonville das Rezept vor langen Jahren bei seiner russischen Geliebten kennenlernte. Eigentlich aber keine russische Kreation, sondern eine französiche. Er erzählte uns dann die Herkunft des Rezepts: Anfang des 19. Jhds. war Napoleon mit seiner großen Armee Richtung Moskau unterwegs. Er begegnete den vielen geografischen Problemen, an denen auch andere Eroberungsversuche gescheitert sind. Relativ nahe am Ziel, aber vom Nachschub abgeschnitten, gingen die Lebensmittel aus. Für einen Franzosen natürlich unerträglich auf die üblichen Mahlzeiten verzichten zu müssen, besonders für den Kaiser. Sicher in einer gewissen Paniksituation kreierte Napoleons Koch aus den noch vorhandenen Proviantresten einen Salat, der seitdem den Vornamen seines Erfinders trägt und deshalb Olivier genannt wird.

Das Gespräch wanderte während des Essens in andere Richtungen und landete bei einem kleinen, eher unbeachteten lothringischen Konzentrationslager, nicht wirklich passend zu einem Dinner, aber immer noch besser als konkrete Krankheitsgeschichten. Nie hatten wir von diesem Konzentrationslager gehört, anscheinend gibt es bei der Rezeption von Verbrechen auch eine gewisse Rangfolge, eine Art Hitparade des Schreckens. Wir beschlossen, am nächsten Tag einen Ausflug zu der nicht weit entfernten Gedenkstätte in dem kleinen Ort Thil zu unternehmen.

Im einzigen Cafe des Ortes, sicher vor nicht allzulanger Zeit noch ein blühender Standort der lothringischen Stahlindustrie, ein Ort, der zur Zeit unseres Besuches schon unter dem später, von Künstlern, Fotografen und Filmemachern geschätzten Begriff der
Lost Places eingeordnet werden konnte. Im Cafe saß vermutlich die gesamte männliche Dorfbevökerung. Schnell sprach sich herum, dass wir am Konzentrationsdenkmal und seiner Geschichte interessiert wären und mehrere Kenner der Materie versammelten sich an unserem Tisch, auch neugierig auf selten auftauchende Fremde, die noch dazu an ihrer lokalen Geschichte Interesse zu haben schienen. Die Geschichten zum Lager, die sie uns erzählten wurden immer abenteuerlicher, gingen über unsere Erwartungen einer KZ Geschichte hinaus und wiesen auf die letzten Strategien des in Schwierigkeiten geratenen 3. Reichs hin, Dinge, die wir über Dora in Thüringen gehört hatten, aber ähnliches an diesem Ort nicht vermutet hatten. Für die Nazis war der Ort interessant aufgrund seiner unterirdischen Erzmienen, die sie ausbauten um V1 und V2 Raketen zu produzieren und das Lager dafür die notwendigen Arbeiter liefern sollte. Nach dem Krieg wurden die Mienen geflutet, nur eine V1 ist noch in einem Nachbarort bis heute zu besichtigen.

Der lokale Historiker stellte uns das Material seiner Recherchen zur Verfügung, das wir im Folgenden zusammengefasst haben, mit der Einschränkung, dass die Herkunft mancher Fotos nicht abgesichert ist.

Das Konzentrationslager Longwy-Thil
(in Vorbereitung)